Die Geschichte der Musik, wie jede andere Geschichte dieser Art, beschreibt selten einen linearen Verlauf. Die Ereignisse verwoben sich und wird komplizierter, Epochen reihen sich aneinander, Strömungen widersprechen sich. Außerdem ändern sich die Moden. Es gibt viele Faktoren, die die Verbreitung von Musik in der Welt bestimmen, die Popularität und Entwicklung von Musikinstrumenten, die Entwicklung von Musikpraktiken. Diese Mechanismen zu erforschen, war für mich immer sehr faszinierend und, wie in diesem Fall, manchmal unentbehrlich.
Ich bin parteiisch, aber die Geschichte der Pedalharfe (allgemein als "klassische Harfe" bezeichnet) ist ein perfektes Beispiel dafür, wie verzerrt die Entwicklung eines Instruments sein kann. Seine Verbreitung, seine Popularität und seine Geschichte überschneiden sich unweigerlich mit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte Europas.
Es genügt zu erwähnen, dass man bis 1811 auf die berühmte "Erard-Revolution" warten musste, d.h. auf das Patent des doppelten Pedalsystems, das es der Harfe ermöglichte, eine chromatische Beweglichkeit zu erlangen, die mit der anderer Instrumente vergleichbar war, was für den Musikgeschmack jener Zeit unentbehrlich war.
Bevor bedeutende Komponisten sich leidenschaftlich für das Instrument interessierten (sowohl als Solist, oder als Orchester), musste von der Patentierung zur Verbreitung des Instruments übergegangen werden, die Gründung der ersten bedeutenden Harfenschulen und die Popularisierung der ersten herausragenden Solisten.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Harfe im 19. und frühen 20. Jahrhundert in vielen Städten weit weg von den kulturellen Epizentren Europas noch als besonders exotisches Instrument angesehen wurde.
Was vielleicht noch überraschender ist, dass es noch 1995, als ich im Alter von fünf Jahren mit Harfenunterricht beginnen wollte, das Konservatorium der italienischen Schweiz, das ich nicht besuchen konnte, weil ich zu klein war, sehr schwierig war, eine Harfenlehrerin zu finden. Nur wenige Schüler und nur wenige Schulen boten diese Möglichkeit an.
Das ist eine paradoxe Anekdote, wenn man sie mit den hunderten von Harfenschülern und -liebhabern vergleicht, die heutzutage im Kanton Tessin leben.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich schlussendlich meine Frage: Wie kam die Harfe ins Tessin?
Ich kann nicht ausschließen, dass irgendein reisender oder vertraglicher Solist im 19. oder frühen 20. Jahrhundert durch das Tessin gereist ist. Wir können jedoch sagen, dass die erste ständige und dokumentierte Präsenz eines Harfenisten auf dem Territorium mit der Gründung des Orchestra della Svizzera Italiana zusammenfällt, das damalige Radiorchester.
Die Harfenistin, die von 1946 bis 1983 die Rolle der ersten Harfe beim Radiorchester innehatte und damit die erste lange Zeit im Tessin ansässige Harfenistin wurde, war Simonne Sporck.
Simonne Sporck wurde 1915 in Paris in eine ganz besondere Familie geboren.
Die Mutter war eine fähige Textildekorateurin, der Onkel ein Pianist und Lehrer am Pariser Konservatorium und ihr Vater ein wahrer Abenteurer. Im Alter von 22 Jahren hatte er nämlich Äquatorialafrika durchquert und später zu weiteren Expeditionen nach Indochina aufgebrochen.
Die Vergangenheit der Eltern prägte die Exzentrik ihrer Pariser Wohnung, die mit Möbeln aus Saigon, afrikanischen Waffen und Dekorationen aus der ganzen Welt dekoriert war.
In diesem Zusammenhang entschied die Mutter, nachdem sie mit ihrer Tochter ein Konzert gesehen hatte, dass Simonne Harfenunterricht nehmen würde (Sporck wird Jahre später in einem Interview sagen, dass ein weiterer Grund für die Wahl der Harfe war, dass ein Klavier niemals in ihre Wohnung kommen würde, in der schon so viele Möbel vorhanden waren).
Danach ging sie ans Pariser Konservatorium, wo sie zunächst bei Marcel Tournier und dann bei Pierre Jamet studierte und im Alter von 17 Jahren einen 1. Preis erhielt.
Bei einem Treffen mit der Tochter von Simonne Sporck, Sylvie Paltrinieri, hatte ich die Gelegenheit, ein wunderschönes Notizbuch zu sehen, das von Simonne Sporcks Vater initiiert wurde und in dem alle Zeitungsausschnitte über die musikalische Tätigkeit der jungen Tochter enthalten waren, und das gibt uns die Möglichkeit zu sehen, wie letzt von Anfang an die Harfenistin in ganz Frankreich zahlreiche Konzerte feierte.
1944 wurde sie vom berühmten Schweizer Dirigenten Ernest Ansermet zum Orchestre de la Suisse Romande berufen. Anscheinend protestierte die damals erste Harfe des Radiorchesters Lugano, die Genferin Jeanne-Marie de Marigna, die vor kurzem die Rolle übernommen hatte, als sie erfuhr, dass beim OSR eine "Ausländerin" eingestellt worden war, und forderte den Austausch der Positionen. So kam Simonne Sporck 1946 nach Lugano, wo sie die Solo-Harfenistin des Radiorchesters wurde.
Im Tessin lernte sie ihren Mann kennen, der leider nach wenigen Jahren verstarb, und ihre Tochter Sylvie wurde geboren. Sie zog also dauerhaft nach Lugano wo sie eine glückliche und dauerhafte Karriere als Orchester, Kammermusikerin, Solistin und Lehrerin einschlug.
Die Art des Repertoires, das das Orchester in den 50er-60er-70er-Jahren programmierte, als das Radiorchester ständig eine Harfe besaß, gab die Harfenspielerin viel Gelegenheit, die Aufmerksamkeit der Kritiker zu erregen, die ihr oft in zahlreichen Rezensionen begrüßen.
In diesen Jahren wurde sie auch von ihren Kollegen sehr geschätzt, wenn auch nicht aus einem einfachen Umfeld: Für lange Zeit war sie die einzige Frau im Orchester. Mit ihren Kollegen bildete sie zudem zahlreiche Kammerensembles, mit denen sie viele Konzerte in der ganzen Schweiz gab.
Wichtig waren auch die anhaltenden Verbindungen mit Ernest Ansermet, der sie zur Uraufführung der Petite Symphonie Concertante für Klavier, Klavier und Harfe von Frank Martin einlud, und mit Otmar Nussio, Dirigent des Radiorchesters, der für sie ein Stück für Harfe und Orchester komponierte und sie einlud, mit ihm Mozarts c-Dur-Konzert bei den Salzburger Festspielen zu spielen.
Rezensionen der damaligen Tessiner Lokalzeitungen beschreiben, dass es etwas Besonderes und Exotisches war, die Harfe sehen zu können. Einige der Konzerte, zu denen sie eingeladen war, dienten dem ausdrücklichen Zweck, das unbekannte Instrument der Öffentlichkeit zu zeigen.
So kam die Harfe in die Fantasie einer Generation, die sie endlich live sehen konnte. Von Konzertabenteurern bis hin zu Hobby-Choristen, die mit ihr beispielsweise die berühmte Ceremony of Carols von Britten singen durften, über die Schülerinnen, die mit ihr studierten, dank Simonne Sporck konnten Musikliebhaber im Tessin sagen, dass sie endlich eine Harfe aus nächster Nähe gesehen haben.
Simonne Sporck ging 1983 in den Ruhestand und verstarb wenig später im Alter von 68 Jahren.
Doch bei seinem Tod hatte sich etwas in der Gegend grundlegend verändert.
Alle Harfenistinnen, die nach ihr mit dem Orchester zusammenarbeiteten oder in der italienischen Schweiz arbeiteten, wurden nicht mehr als seltsame Kreatur mit einem unbekannten Instrument gesehen. Dieses Tor war bereits von Simonne Sporck geöffnet worden, und ich bin sicher, dass dies ein wichtiges Element war, das mir und meinen Kolleginnen den Zugang zu dieser wunderbaren Welt ermöglichte und uns in die Lage versetzte, die Geschichte unseres Instruments auch im Kanton Tessin weiterzuentwickeln.
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